Onken Academy –
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Die Narzisstenepidemie

12. Mär 2021Maya Onken
Narzissmus

Manche Hähne glauben, dass die Sonne ihretwegen aufgeht. Theodor Fontane

Wenn man mich fragen würde, welches Thema nebst dem berühmten C-Wort auf der Hitliste der Gesprächsstoffe und der Büchertitel sei, würde ich antworten: Narzissmus. Auch wenn die Wenigsten Genaueres über dieses Thema wissen, wird dieses Schmähwort von Vielen verwendet, um auffällige, ihnen unliebsame Personen zu kennzeichnen.

Nach stiller Beschäftigung mit einigen Büchern, hat mir Dr. Craig Malik das Phänomen in seinem Buch «Der Narzissten-Test» am besten erklärt. Der Begriff stammt aus dem Mythos von Narziss, der so unsterblich in sein Spiegelbild verliebt war, dass er sich in den Teich stürzte, um sich selbst näher zu kommen. Narzissmus bedeute jedoch vor allem die Überzeugung, etwas Besonderes zu sein.

Wer denkt das nicht mal ab und zu von sich?

Genau, es kommt lediglich auf den Grad dieser Überzeugung an. Hast du ein gesundes Mittelmass? Reflektierst du dich, stellst dich in Frage, akzeptierst Kritik von aussen, zeigst Reue? Dann hast du wohl eine gute Kombination von einem vorwärtsdrängenden und mutmachenden Gedanken, etwas Aussergewöhnliches zu sein, das dir auch erlaubt, in schwierigen Situationen nicht gleich aufzugeben und dir Zuversicht gibt, die nächste Hürde zu nehmen und der fortlaufenden Reflexions-Korrektur. Diese Modifikation kommt von aussen (Feedback auf dein Verhalten) und von innen (du reflektierst dein Verhalten und siehst Mängel und Veränderungspotenzial). Das ist wichtig, damit dich die Überzeugung, etwas Aussergewöhnliches zu sein, nicht zu einer unmöglichen, selbstverliebten, arroganten Person macht, die meint, die Welt solle ihr gefälligst zu Füssen liegen.

Wenn wir im Volksmund von den Narzissten reden, dann meinen wir die letztgenannten Extrembeispiele. Die vielen Kings und Queens auf dieser Welt. Wir kennen dazu auch berühmte Beispiele wie Trump. Die fallen sofort auf.

Dass wir zurzeit den Fokus auf das Negative am Narzissmus legen, liegt am Psychologen Kernberg.

Dr. Craig zeigt deutlich auf, dass zwei Ansichten sich lange die Waage hielten. Die eine stammte von Heinz Kohut, der 1938 rechtzeitig vor dem Krieg fliehen konnte und in Amerika ein angenehmes Leben führte und deshalb eine versöhnliche Ansicht zum Narzissmus verkündete. Eine hoffnungsvolle, eine abgestufte und eine, wo man diese Skalierungshöhe von 10 heilen könne. Der andere Psychologe, Otto Kernberg, der leider im Schatten des Nationalsozialismus aufwuchs, spricht vom psychopathischen Narzissmus.

Da Kohut älter war und verstorben ist, regiert nun die Meinung von Kernberg die Welt. Diejenige von dem unheilbringenden Narzissmus.

Ich persönlich finde den verdeckten Narzissmus am gefährlichsten. Denn die offen zur Schau gestellte Selbstüberzeugung ist klar erkennbar und die meisten wissen sofort, dass sie bei dieser Person gleich mal die inneren Panzergläser und Schutzschilder hochfahren müssen.

Gemein sind die Personen, die sich nach aussen hin ganz normal verhalten, die aber innerlich und insgeheim denken, dass sie a) etwas ganz Besonderes sind und b) es deshalb verdienen, dass sie dementsprechend gesehen, gewürdigt und bevorzugt werden. Dieses b) kann richtig gefährlich werden. Es sind Ansprüche, welche die verdeckten Narzissten für sich beanspruchen, die an einem bestimmten Punkt eskalieren. Die Anspruchseskalation kann sich dann in einem Ausbruch von Wut, Empörung, krimineller Energie und bösartigem Verhalten zeigen, weil die Person derart überzeugt ist, dass ihr etwas zusteht. Das sie sich dann nimmt. Und dafür über Leichen geht.

So kann sich zum Beispiel eine Führungskraft ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie einen geheimen Narzissten oder eine Narzisstin fördert. Diese Person denkt dann, dass sie das alles bekommt, weil sie was Besonderes ist und es ihr zusteht. Nun hört die Führungsperson auf, die Karriere des oder der Geförderten noch weiter vorwärtszutreiben. Sie denkt, die Person hat sein Plateau ihrer Kompetenzen erreicht. Der oder die Geförderte explodiert vor Wut, ihm bzw. ihr stehe der nächste Schritt zu (Anspruch). Die Person denkt, sie sei schliesslich als Einzige fähig (Besonderheit). Sie macht eine Szene und kündigt beleidigt. Nicht ohne alle Daten zu kopieren (die stehen ihr zu, schliesslich sind das alles IHRE Projekte), die Kundinnen und Kunden anzuschreiben (das sind schliesslich IHRE) und ihnen vorzuschlagen, mit ihr die Firma zu wechseln.

Oder in der Partnerschaft kann sich so ein verdeckter Narzissmus in dem Anspruch an den Partner oder die Partnerin äussern. So können die beiden geschieden und neu liiert sein. Doch die verdeckte narzisstische Person meint immer noch, sie habe ein Recht und ein Anspruch am ehemaligen Partner oder an der Partnerin und verhält sich auch so.

Das sind wirklich schwierige Themen!

Vielleicht helfen diese Erläuterungen der einen oder dem anderen, im Nachhinein, ein Verhalten einer Person zu verstehen, welche man seit Jahren als völlig unlogisch empfand. Ja sogar krankhaft bezeichnete.

Denn mit der Realität ist das so eine Sache beim Narzissmus. Wenn wir eine Skala von 0-10 nehmen, so befinden sich die Werte 5 und 6 noch in einem gesunden Bereich des Narzissmus. Also einer Überzeugung, etwas Besonderes zu sein, ohne dabei grössenwahnsinnig zu werden. Die Welt, die Realität, das Feedback von aussen können an diese Person andocken. Sie stehen miteinander in Verbindung. Das Aussen kann Impulse zur Wirklichkeitsgestaltung geben und diese werden gehört. Je mehr sich der Narzisst oder die Narzisstin auf die 10 zubewegt, desto kleiner werden die Signale. Die 10 hört und sieht nichts mehr. Lebt in der persönlich gebauten Königs-Welt, welche sie auf der grossen Bühne des Lebens inszeniert mit Pomp und Trompetenschall. Diese Welt besteht aus sich selbst und einigen unwertigen Anderen, die leider einfach blind und blöd sind, so dass sie die Pracht der Einzigartigkeit nicht sehen können. Wer nicht applaudiert, wird manipuliert oder als unwürdig abgestempelt.

Dieses Zubewegen auf die 10 kann von aussen sichtbar sein oder eben nicht sofort.

Herr Malik spricht in seinem Buch von fünf Frühwarnsignalen für ungesunden Narzissmus und den Möglichkeiten, diese zu erkennen und damit umzugehen.

Tipp meinerseits: Wenn du mit einer Person zu tun hast, bei der sich somatische Marker bei dir bemerkbar machen wie ein ungutes Gefühl, du dich nach dem Treffen mit ihr manipuliert fühlst, dann frag dich Folgendes:

  • Kann es sein, dass sich diese Person für etwas ganz Besonderes hält und sie deshalb Ansprüche auf gewisse Dinge entwickelt?
  • Manipuliert dich diese Person?
  • Spricht sie nicht von ihren Gefühlen? Aber schiebt sie dir diese in die Schuhe?
  • Hält sie heimlich alle Fäden in den Händen und bekommt, was sie will und zwar ohne darum zu bitten?

Es kann nämlich im dümmsten Fall so ausgehen, dass die Person über eine Trennung der Beziehung (geschäftlich oder privat) hinaus weiterhin den Anspruch auf diese Dinge oder sogar auf dich selbst aufrechterhält. So lange, bis sie einen neuen Aufmerksamkeitsfokus gefunden hat, auf welchen sie ihre Ansprüche richten kann.

Halte also nicht nur Ausschau nach den Hähnen, die denken, dass die Sonne ihretwegen aufgeht und die das jeden Morgen laut auf dem Dach des Hühnerstalls herauskrähen, sondern nach denjenigen, die der Sonne heimlich zublinzeln und in sich hineinmurmeln: «Brav, Sonne, du machst wieder genau das, was ich von dir will.»

Und geh noch einen unangenehmeren Schritt weiter: Frag dich selbst, ob du dich für was Besonderes hältst. Gratuliere dir dann, wenn das so ist. Denn dieser Gedanke macht dich stark und mutig. Frag dich dann aber weiter, ob du gut mit dem Aussen, den Feedbacks, den Rückmeldungen deiner Systeme und deiner eigenen Reflexion in Verbindung stehst, diese siehst und hörst und auch Korrekturen und Veränderungen zulässt. Dann beglückwünsche dich doppelt. Gesunder Narzissmus ist keine Epidemie, sondern das, was uns vorwärtsbringt.

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