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Aus der Box treten

14. Okt 2019Maya Onken
Aus der Box treten

Es gibt Zeiten im Leben, da verheddern wir uns im Gestrüpp von Beziehungen, Verpflichtungen und Mustern. Das eine gibt das andere und auf einmal befinden wir uns in einer Box und verengen unseren Lebens- und Möglichkeitsraum. Oft kann es sogar sein, dass die Box aus Stein, Holz oder Milchglas ist, so dass wir nicht mehr viel sehen. Wir drehen nur noch kleine Kreise, unser Blick reicht nur noch bis zu Wand der Box und es hat keinen Platz für Neues.

Wenn ein Schmetterling über uns hinwegfliegen würde und er ein wirklich gut ausgeprägtes Denken hätte, würde er vielleicht im ersten Gedankenschwung annehmen, dass die Person da unten in der Box eher beschränkt sein muss, um sich freiwillig so einsperren zu lassen. Das denken die Personen in der Box auch oft selbst über sich, was den misslichen Zustand nicht lindert, sondern verstärkt. Denn es gibt verschiedene Bewusstseinszustände in diesem Mini-Gefängnis:

Die ersten merken es gar nicht. Sie denken, das ist das Leben und finden es einfach etwas eng.

Die einen wissen darum, dass es zu eng ist und weil sie früher ausserhalb der Box waren, können sie den Unterschied deutlich wahrnehmen. Aber sie finden sich damit ab.

Die dritten finden sich nicht damit ab und fragen sich, warum sie in dieser Box gelandet sind. Da sie keine guten Gründe dafür finden ausser der einfachste: "Ich bin soooo blöd, mich hier einsprerren zu lassen!", wird es in der Box wesentlich ungemütlicher.

Die vierten hören auf, sich zu fragen, warum sie hier drin sind, sondern kümmern sich drum, einen Fluchtplan zu entwerfen. Da sie aber die Frage, warum sie überhaupt hier drinnen gefangen sind, nicht gelöst haben, bringen sie am Schluss den Mut nicht auf, die Türe der Box aufzubrechen.

Die fünften analysieren genau, wie es dazu kam. Sie verstehen, dass sie nicht dumm waren, sondern dass es gute Gründe gab, sich auf z.B. eine schwierige Beziehung einzulassen. Diese Beziehung war am Anfang vielleicht noch nicht so belastend, es gab viele Facetten von Freude und insgesamt einen Gewinn fürs Leben. Denn die Fünften verstehen auch, dass wir nichts im Leben machen, wenn es nicht irgendwo und irgendwie lohnend für uns ist. Und sei es nur, dass wir uns bei anderen über den Zustand beklagen können und dafür viel Verständnis und Fürsorge erhalten. Dann untersuchen sie weiter, dass es wohl eine Veränderung gab in der Beziehungsdynamik, dass toxische Muster anfingen sich zu entwickeln, aber erst in homoepathischer Dosis, die man noch gut kurieren konnte. Auch als die erste Überdosis da war, hatte das Herz schon genug Abwehrkräfte entwickelt und konnte das Ganze mit einer Narbe überstehen. 

Die fünfte Person versteht auch, dass wir Menschen ein Grundbedürfnis nach Liebe und Anerkennung haben, und wenn wir hoffen, es bei jemanden zu bekommen, dann geben wir nicht so schnell auf. So kann es je nach Hoffnungsintensität und je nach Hunger nach Liebe und Anerkennung einfach länger gehen, bis jemand erkennt, dass die Schaukel zwischen Hoffnung auf Besserung und wieder eine Dosis Toxikum ein neues Muster wird, welches uns auf die Länge einfach nicht gut tut. Oft gesellt sich bei einer solchen Geschichte noch das Gefühl der ANGST hinzu. Angst, jemanden zu verlieren, Angst vor der bösen Seite dieses Menschen, den wir ja in den schlechten Momenten schon erlebt haben. Wir können uns also vorstellen, dass wenn wir diesen Menschen verletzten und zwar in seinen Grundsätzen, es nicht gut herauskommt. Wir können uns vorstellen, dass das Negative im Muster dann so richtig in die Blüte kommt. Also bleiben wir lieber stumm und zahm. Bei all diesen Vorgängen bauen wir uns selbst unsere Box. Wir schichten Stück und Stück die Mauer um uns auf. Es ist ein Irrtum zu glauben, die andere Person würde uns gefangen nehmen. Denn wir sind stets und in jeder Sekunde frei zu entscheiden, was wir tun wollen. Bleiben oder gehen. Ansprechen oder stumm bleiben. Gleichgültig tun oder weinen. Ja oder Nein. Und auch wenn wir uns nicht entscheiden, entscheiden wir uns, nämlich für das bestehende Modell.

Die fünfte Person geht der ganzen Geschichte nach und versteht die Zusammenhänge. Sie ist vielleicht mal sehr enttäuscht über sich selbst, weil sie nicht gemerkt hat, dass sie hätte anders entscheiden können. Sie kann auch mal sehr traurig werden darüber, dass sie viele Jahre in eine Hoffnung investiert hat, die sich als nichtig herausgestellt hat. Aber sie kann sich das verzeihen. Sie kann zu sich sagen: Okay, du hast dich in eine Box hineinmanövriert, weil es viele gute Gründe dafür gab. Gründe wie das Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung und manchmal war auch Angst dabei. Angst alleine zu sein, Angst jemanden zurückzustossen und mit seiner Aggression dann umzugehen, Angst vor den Konsequenzen. 

Das kann diese Person verstehen. Und der Körper kann signalisieren - es reicht jetzt. Diese Person kann sich sagen, dass sie sich in die Box hineinmanövriert hat und sich nun hinausbuxieren muss. Ausserhalb der Box gibt es ein spannendes Leben und das Risiko, die Türe einzutreten geht sie jetzt ein. Es ist wichtig, dass die Person an dieser Stelle nicht nur sagt: ICH WILL NICHT MEHR. Sondern auch weiss, was sie will. Nämlich hinaus ins freie Leben treten.

Falls sie gerade diese fünfte Person sind, könnten Sie sich folgendes fragen:

  • Was möchte ich anstattdessen haben?
  • Wie fühlt sich mein Leben an, wenn ich aus der Box heraustrete?
  • Woran würde ich merken, dass ich mein Leben ausserhalb der Box starte?
  • Wie sieht mein neuer Tagesablauf ganz genau aus?
  • Was tue ich anders als vorher?
  • Was tue ich da ganz genau?
  • Welche Gedanken denke ich, wenn ich aus der Box heraustrete?
  • Wie fühlt sich mein Körper an, wenn ich mein neues Leben starte und lebe?
  • Wie würde ich meine Emotionen beschreiben ein Jahr nachdem ich die Türe der Box eingetreten habe?
  • Was erzähle ich einer guten Freundin/Freund ein Jahr nachdem ich die Tür der Box eingetreten habe und ins andere Leben herausgetreten bin?

Die fünfte Person nimmt nicht einfach eine Axt und schlägt wild Löcher in die Box. Sie überlegt sie genau und weise (es kommt auf einige Tage mehr oder weniger nicht an, die meisten leben länger in der Box als sie meinen), wie sie das Verlassen der Box gestalten wollen. Sie bedenken ihre eigenen Gefühle und kreieren mögliche Szenarien, um sich auch auf die Konsequenzen vorzubereiten.

Sie überlegen sich etwa solche Fragen:

  • Von was nehme ich Abschied, wenn ich aus der Box heraustrete?
  • Mit welchen Reaktionen von mir selbst könnte ich rechnen. Im besten Falle? Im schlimmsten Falle?
  • Was brauche ich zu beachten beim schlimmsten Fall (wer und was könnte mir da helfen)
  • Wie könnte meine Umgebung auf die Veränderung reagieren? Im besten Falle? Im schlimmsten Falle?
  • Was und wer kann mich dabei unterstützen, wenn der schlimmste Fall eintritt?
  • Was und wer kann mich dabei unterstützen, wenn die anderen Fälle eintreten.
  • Was gilt es besonders im Blick zu behalten?
  • Welche Schritte sind wichtig und was ist bei den einzelnen zu beachten.

Die fünfte Person weiss, dass sie der Boss wird über ihr eigenes Leben. Sie weiss auch, dass der schlimmste Feind in ihr selbst sitzt. Das sind die Zweifel, das richtige getan zu haben, sich richtig entschieden zu haben. Das sind die moralischen Zeigefinger, die darauf hinweisen, dass es nicht in Ordnung ist, sich für sich zu entscheiden. Denn das passiert zwangsläufig, wenn wir aus der Box heraustreten. Wir lassen all die Menschen zurück, die sich an uns gebunden haben und ihre Vorteile genossen haben. Wir entscheiden uns, dass wir Energiekiller, toxische Zecken, mörderische Beziehungen und ungute Dynamiken hinter uns lassen. Wir lassen eine Menge Menschen zurück, die sich nun umorientieren müssen. Auch wenn wir uns nur offiziell gegen einen Menschen oder eine Sache entschieden haben. Da dieser eine Mensch oder diese eine Sache mit vielen anderen Systemen gekoppelt ist, wird so ein Weggang oft ganze Systeme betreffen. Die sind dann verwirrt, verärgert, verängstigt. Sobald wir uns selbst fragen, ob es in Ordnung war, sich für uns selbst zu entscheiden, für unser Wohlbefinden, für unseren Wunsch, das Optimum im Leben zu erlangen, werden all diese Menschen Möglichkeiten haben, ihre Schuldzuweisungen bei uns zu platzieren. Es ist darum so wichtig, sich selbst in einer solchen Phase gut zu schauen, damit die inneren Stimmen nicht die Landeplätze für äussere Vorwürfe vorbereiten.

Die fünfte Person sagt sich darum immer wieder: Es war ein guter Entscheid. Und ich nehme alle Konsequenzen dafür in Kauf. Ich habe mich für mich entschieden und arbeite daran, das Optimum in mein Leben zu lassen. Ich gebe den anderen Personen, die zusammen mit mir in der Box lebten, zudem eine Chance. Es kann nämlich nicht sein, dass diese Boxenwohngemeinschaft in ihrer wahren Bestimmung sind. Ihr Potenzial entfalten und ausweiten, ihre Schwingen ausbreiten und fliegen. Denn auch sie waren durch die Boxenbeziehung beengt. Sie werden gezwungen durch den Entscheid der fünften Person, ihr Leben zu überdenken. Am Anfang wollen sie das nicht. Sie sind wütend und fühlen sich ungerecht behandelt, verwenden ihre ganze Energie in Rache und Wiedergutmachung, sie wollen ihr ursprüngliches System zurück. 

Die einen bleiben in diesem Zustand. Das sind die, die ihr ganzes Leben lang darüber jammern, dass sie verlassen und verraten wurden.

Die zweiten akzeptieren irgendwann diesen Zustand. Eine Veränderung akzeptieren wird in der Resilienzforschung als einer der Zustände formuliert, wie man Krisen überwinden kann. Aber sie stoppen hier und leben einfach weiter ohne was daraus machen.

Die dritten resilienten Personen werden Boss über ihr Leben. Sie beginnen zu verstehen, warum das passiert ist. Sie sehen die Chancen für sich, ihre Muster zu überdenken. Sie beginnen sich mit den obengenannten Fragen zu beschäftigen und fragen sich, was sie denn eigentlich im Leben möchten. Und die meisten finden heraus, dass es ein Glück war, diese Veränderung. Die Krise hat sie gezwungen, sich mit sich und den eigenen Visionen und Wünschen im Leben zu beschäftigen. Sie merken, was sie daraus alles gelernt haben, räumen ihr Leben auf und übernehmen Verantwortung dafür.

Das tönt nun schon fast nach einer Hollywood Geschichte. Und ja, es ist eine. Wenn wir den Schritt aus einer Box herausmachen, weil wir Ja sagen zu uns und unseren Wünschen und Visionen, ist das immer eine Chance für die anderen in der Box, das gleiche zu tun.

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