Achtung Nebenwirkung: Nebst
Kompetenzerweiterung auch Potenzialentfaltung

So wie meine Mutter nie!

30. Apr 2024Maya Onken
Aging

Es ist ganz selbstverständlich, dass jeder Mensch einzigartig und wundervoll sein will. Kein Abklatsch von irgendetwas und schon gar keine müde Kopie von einem Original.

Ich kann mich noch gut erinnern, dass mein Lieblings-Märchen Aschenputtel war und immer noch ist. Das ist die Geschichte von einer jungen Frau, die durch Staub und Dreck im Alltagsleben unsichtbar geworden ist. Sie wird getreten und missachtet und lebt unter Leid und Trauer um Verluste. Und doch wählt der Prinz gerade sie aus! Er findet sie, er verliert sie, er sucht sie im ganzen Land und erkennt sie als etwas Einzigartiges, Wunderschönes an.

Ein junges Mädchen ist wirklich blöd dran! Einerseits will sie etwas Neues auf dem Markt sein, andererseits weiss sie nicht, wie das geht. Und die einzigen Personen, von denen sie spicken kann, sind die weiblichen Rollen im eigenen Familientheater. Hauptbesetzung darin: die Mutter.

Diese Mutter ist schon weiter fortgeschritten in ihrem Versuch, etwas Tolles abzugeben. Ein Vorbild. Etwas Nachahmenswertes. So wird von der Tochter nun untersucht, ob es sich lohnt, sie zu kopieren.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit 13 Jahren meinen ersten BH kaufte und mit Weiblichkeit konfrontiert war. Meine Mutter steckte gerade in ihrer Scheidung und hatte einen neuen Boyfriend an ihrer Seite. Sie sprang und hetzte durch ihr Leben, versuchte es allen recht zu machen, zudem Geld zu verdienen, ihre Begabungen ins Leben zu rufen und gleichzeitig mit uns zu überleben. Es schien mir kein nachahmenswertes Leben zu sein. Ich wollte auf keinen Fall so werden wie sie. Und als ich ein Scheidungskind wurde, versprach ich mir, dass ich es dann besser machen würde. Und als ich selbst eine Tochter bekam, wollte ich die wesentlich bessere Mutter werden wie meine eigene. Es war also klar, so wie sie, wirklich nicht. Nein bitte nicht!

Wenn ich mich jetzt betrachte kann ich sagen: diese Fähigkeit, in grossen Krisen alles zu bewältigen, sowohl finanziell, persönlich, beziehungstechnisch, haushälterisch, verantwortlich, an alles denkend, rennen, keuchen und heben, pflegen und trösten und gleichzeitig auf die Bühne stehen und performen, das konnte ich damals von ihr lernen und ich habe es in meinem eigenen Leben schon einige Male genauso angewandt.

Denn ich habe ihre Gene. Nicht alle. Aber einige. Ich komme aus dem gleichen Stall wie sie, habe die gleiche Luft geschnuppert, die geschwängert war von dem Wunsch nach Potenzialentfaltung. Ich habe einige ihrer Begabungen geerbt (und natürlich auch welche vom Vater, dazu mehr im nächsten Blog). Ich kann schreiben wie der Wind, denken wie eine Philosophin, sprechen und erzählen, so dass andere gerne zuhören und ich kann schwierige Inhalte runterbrechen und anderen plausibel erklären und beibringen. Genau wie sie!

Meine Abwehrversuche, diese Begabungen nicht zu leben, scheiterten kläglich. Ich studierte gerade mal drei Wochen Biochemie. Ich wollte allen zeigen, dass ich ANDERS bin. Das Universum machte den ganzen kurzen Prozess. Es schickte mir einen Drehschwindel, permanente Überforderung und den Verlust von sämtlichen Wertsachen bei einem überstürzten Tramwechsel. Ich landete dann doch dort, wo ich hingehörte: in die Germanistik.

Und ich landete im Unterrichten. Ich landete sogar an der Schule meiner Mutter. Und wie sie gründete ich eine eigene Schule und schrieb Bücher. Und wie sie trennte ich mich vom Ehemann.

Meine sämtlichen Versuche, nicht so zu sein wie sie, führten zu neuen Missständen. So blieb ich in unzumutbaren Familienverhältnissen und harrte unglücklich aus, um meinen Kindern die Scheidung zu ersparen, die nun dieses Jahr trotzdem vollzogen wird. Denn was haben meine Töchter nun von mir gelernt? Vielleicht haben sie beschlossen, dass sie nicht so sein wollen wie ihre Mutter. Dass sie in Unfreundlichkeit nicht ausharren werden und dass sie niemals so viel arbeiten wollen wie sie?

Ja, meine Töchter, ihr müsst nicht so sein wie ich! Ihr sollt einzigartig und wundervoll sein. Doch schneidet nicht die Wurzeln ab, die euch genährt haben und mit deren Saft ihr gefüllt seid. Schaut euch genau an, was ihr anders machen wollt, nutzt aber auch die Kraft eurer Herkunft: ich und eure Grossmutter können durchhalten, Dinge in die Welt bringen, Raupen zu Schmetterlingen transformieren durch schriftliche und mündliche Worte und durch Unterricht. Wir sind stark und zielorientiert, wir können lieben und hegen und pflegen. Nehmt euch vom Buffet, was ihr braucht und ergänzt es mit euren einzigartigen Eigenheiten. Ich verspreche euch, ihr werdet wunderbar-einzigartig, und eure Töchter wollten trotzdem nicht so werden wie ihr.

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