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Der Null-Blick für eine Sekunde

10. Jul 2023Maya Onken
Der Null-Blick für eine Sekunde

Ich hätte nie gedacht, dass mir das passieren würde.

Natürlich, andere Frauen haben davon berichtet. Dabei habe ich ihnen immer ungläubig zugehört. 

Von diesem Blick eines Mannes. Die schweifende, suchende und bewertende Betrachtung. Genau wie ein geschaltetes Auto die Kupplung bedient, wenn im Bruchteil einer Sekunde zwischen dem zweiten und dritten Gang der Leerlauf spürbar wird, genauso stellt sich der Blick eines Mannes bei gewissen Frauen blind. Das begehrliche, sehnsüchtige Flackern in seinen Pupillen wird schwarz, tot, regungslos, erstirbt kurz vor dem Auftreffen auf deine Gestalt, die ihm nicht passt, die er nicht sucht, die er nicht will, die er nicht braucht. Eine Sekunde lang bist du nicht mehr da. Leerlauf. Kaum hat dich der Blick übergangen, überfahren mit Null Wahrnehmung, nimmt er wieder Fahrt auf und lodert in voller Flammenhöhe. 

Das passiert mir nie. Dachte ich immer bei diesen Erzählungen von Frauen, die berichten, eines Tages einfach unsichtbar geworden zu sein. Der Null-Blick der Männer hat sie aus der Gesellschaft herausgelöscht, ins Nichts geworfen, ins Unrelevante, Nichtssagende, Nicht-Existierende wegkatapultiert.

Ich dachte damals, dass eine Frau in voller Lebenskraft, verbunden mit ihrer Energie und ihrer Selbstsicherheit, so einer Auslöschung widerstehen kann. Dass sie sich ihr Recht auf Daseinsberechtigung bis ins hohe Alter durch selbstbewusste, leidenschaftliche Weiblichkeit erhalten kann.

Irrtum!

Denn der Hebel für diesen Null-Blick liegt in Männerhand. ER hat den Steuerungsknüppel in der Hand und der funktioniert nach seinem Schema. Wenn seine Suchmaske für Frauen nach den Kriterien blond, klein, u40 eingestellt ist, kannst du noch lange im roten Kleid, vollbusig, ü40ig, gut gelaunt, voller Lebensfreude, braungelockt dastehen. Der Null-Blick wird dich treffen!

Gut, ab und zu ein Null-Blick, das kennen wir alle. Das verkraften wir Frauen auch. So ist die Welt. Nicht jede ist für jeden bestimmt.

Aber wenn es dir so ergeht wie mir am letzten Salsafestival, dann ist das starker Tobak. Zumal es beim Salsa tanzen üblich ist, dass der Mann die Frau zum Tanz auffordert, also schon einmal eine Grund-Abhängigkeit für das Suchraster besteht.

Wenn dann rund 20 Männer am Bühnenrand stehen, nach der idealen Tanzpartnerin suchend und dich trifft jedes Mal der Null-Blick, dann kann ich dir versprechen, DAS MACHT WAS AUS.

Und wenn du dir dann ein Herz nimmst und dir sagst, gut, ich nehme die Sache selbst in die Hand, ich fordere selbst zum Tanz auf, und sich der Mann genau in dieser Sekunde des Nähertretens von dir wegwendet, dann kann ich dir versprechen, DAS MACHT WAS AUS.

Also ich habe meine Meinung geändert. Es gibt den Null-Blick. Er kann dich auslöschen und verunsichern. Leider liegt eine Veränderung der Situation zu 0 Prozent im eigenen Einflussgebiet.

Es gibt nur eines: den Umgang mit dem Null-Blick zu lernen. Zu akzeptieren, dass mit jedem Jahr älter, die Anzahl dieses Übersehen-Werdens sich erhöhen wird.

Was kann Frau da tun?

Auf keinen Fall:

· Pro Jahr weniger anziehen, um mit erotischer Stimulation die Blick-Anzahl zu erhalten

· Pro Jahr sich weniger in der Öffentlichkeit zeigen, um das Weggewischt, Nichtexistieren als Frau zu merken

· Pro Jahr verzweifelt inhouse zu kompensieren – je weniger Rückmeldung von aussen, desto mehr dafür vom eigenen Mann/Partner/Geliebten zu verlangen

Vielleicht eher:

· Mit Ruhe und Gelassenheit erkennen, dass uns die Natur für diese Altersklasse nicht mehr für die Reproduktion der Menschheit vorgesehen hat

· Dass wir die Rückmeldung von aussen nicht mehr in den gleichen Massen brauchen wie früher, weil wir bereits wissen, dass wir toll, fantastisch und eine Bereicherung für die Menschheit sind

· Dass wir uns die neuen Rechte herausnehmen, uns nicht mehr für die Blicke als Freiwild zur Verfügung stellen, sondern proaktiv die Beziehungen herstellen, die uns wichtig sind.

· Zu wissen, dass Männer, die dieses Raster eingestellt haben, auch durch unser Raster des Interessanten fallen

Was heisst das für mich fürs nächste Salsa-Festival?

Ich nehme gute Freundinnen mit, mit denen sich die Zeit am Bühnenrand leicht und lustig verbringen lässt.

Ich nehme mindestens einen Tanzpartner mit, der meine Qualität als gute Tänzerin zu schätzen weiss.

Ich gehe das nächste Mal nicht ängstlich, sondern strahlend auf den Tänzer meiner Wahl zu, denn ich kenne meinen Wert und er wird ihn in Kürze auch erfahren.

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